Insbesondere in unserer heutigen, schnell verändernden und komplexer werdenden Zeit müssen wir uns ständig weiterbilden. Für eine effektive Weiterbildung, ist es wichtig, eine offene Einstellung zu entwickeln – das Beginner’s Mind. Hier schauen wir uns an, was es ausmacht und wie wir es ausbilden können.
Beginner’s Mind Definition
Das Beginner’s Mind oder auch Beginner-Mind ist eine Einstellung aus dem Zen Buddhismus und wird dort “Shoshin” genannt. Auf Deutsch übersetzt bedeutet Beginner’s Mind “Anfängergeist”. Der Begriff wurde im westlichen Raum besonders durch das Buch “Zen Mind, Beginner’s Mind” vom japanischen Zen-Meister Shunryū Suzuki verbreitet.
Die 5 wichtigsten Tipps zur Ausprägung eines Beginner’s Mind
- Ausprägung als Training sehen
- Glaubenssätze regelmäßig hinterfragen
- Angemessene Erwartungshaltung entwickeln
- Grundeinstellung regelmäßig hinterfragen
- Meditieren
Warum ist ein Beginner’s Mind so schwierig zu erlernen?
Das Beginner’s Mind ist ein Konzept, das im Zen schon seit einiger Zeit verbreitet ist. Besonders durch die vielen neuen Themen in unserer global vernetzten Welt gewinnt ein solcher Anfängergeist auch für uns immer mehr an Bedeutung.
Unsere angewöhnte Voreingenommenheit
Es stellt sich dabei die Frage, warum wir nicht von Natur aus schon ein Beginner’s Mind besitzen und warum es so schwer zu erlernen ist. Ein Grund dafür ist unser angewöhntes Verhalten, Dinge mit einer gewissen Voreingenommenheit zu sehen, auch wenn wir es vielleicht nicht aktiv bemerken.
Stell dir vor, du läufst einer Straße entlang und siehst ein pinkes Haus. In den meisten Fällen sehen wir das Haus nicht einfach so wie es ist, sondern ergänzen unterbewusst noch unsere Meinung dazu. So denken wir meistens zusätzlich darüber nach, ob wir ein solches Haus schön finden oder ob wir in einem solchen Haus wohnen wollten.
Das Ziel eines wahren Beginner’s Mind ist es, diese Voreingenommenheit abzulegen und die Dinge einfach nur für das zu betrachten, was sie sind.
Expertendenken und Selbstüberschätzung
Ein weiterer Grund, warum das Kultivieren eines Anfängergeistes eine Schwierigkeit darstellt, ist unsere eigene Selbstüberschätzung. Je öfter wir eine bestimmte Sache ausführen, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns als einen Experten in dem Gebiet sehen. Diese Sichtweise ist aber das komplette Gegenteil eines Anfängergeistes, da sie verhindert, dass wir weiterhin offen für Ratschläge und Tipps sind.
In der Wissenschaft ist dieser Effekt unter dem Dunning-Kruger-Effekt bekannt. Er stellt eine kognitive Verzerrung dar, bei der das Selbstvertrauen in einem Themengebiet bis zu einem gewissen, relativ geringen Grad an neu erlerntem Wissen exponentiell steigt. Dieses erlernte Halbwissen lässt unser Selbstvertrauen fälschlicherweise zu dem eines Experten ansteigen. In diesem Bereich ist die Anwendung des Beginner’s Mind deutlich schwieriger.
Wenn wir einen höheren Wissensgrad erlangt haben oder uns bereits im Vorhinein über den Dunning-Kruger-Effekt bewusst sind, bemerken wir, dass wir noch vergleichsweise unwissend sind. Unser Selbstvertrauen senkt sich wieder zu dem eines Anfängers ab. Mit steigendem Wissen und Erfahrung gelangen wir dann wieder auf einen höheren Stand an Selbstvertrauen, wir haben aber nun wahrscheinlich schon die Erfahrung von Nutzen des Anfängergeistes gemacht und können nun das Shoshin nachhaltig anwenden.
Dieses Wissen über den Dunning-Kruger-Effekt können wir für uns nutzen. Wenn wir uns beim nächsten Mal in ein Themengebiet neu einarbeiten, können wir uns aktiv daran erinnern, dass unser Selbstvertrauen wahrscheinlich fälschlicherweise etwas hoch ist. So gelingt es uns, jedes Buch und jeden Sprung mit einem “frischen” Geist zu lesen und niemals zu sagen, dass wir eine Sache sowieso schon kennen.
Diese Einstellung hilft es uns immer davon ausgehen zu können, dass wir etwas dazu lernen können, egal wann, von wem und in welchem Stadium wir uns befinden. Um eine solche Demut und Bescheidenheit zu lernen und regelmäßig zu erhalten, wird im Zen eine sogenannte “Sitzmeditation” ausgeführt.
Die richtige (Geistes)Haltung für ein Beginner’s Mind
Für das Kultivieren eines Beginner’s Mind sind die richtige Geistes- und auch Körperhaltung unerlässlich. Im Zen wird dafür eine Sitzmeditation namens “Zazen” durchgeführt. Hierbei werden die Beine übereinandergelegt und die Aufmerksamkeit lediglich auf die Atmung gesetzt. Das Ziel hierbei ist es, Kontrolle über den eigenen Körper zu erlangen. Da im Zen die Auffassung vertreten wird, dass Körper und Geist miteinander verbunden sind, hilft diese Körperhaltung somit auch dabei, den Geist zu kontrollieren und zu beruhigen.
Big Mind und Small Mind
Im Zen herrscht die Vorstellung, dass jeder Mensch von Geburt an einen ruhigen Geist hat. Dieser ruhige, unvoreingenommene Geist wird auch als “Big Mind” bezeichnet. Als Analogie kannst du dir das Big Mind als den blauen Himmel vorstellen. Auch wenn er von Wolken (unseren Gedanken) bedeckt ist, ist er trotzdem immer existent. Wenn wir uns also nicht von unseren Gedanken ablenken lassen und sie auch nicht aktiv stoppen, werden sie früher oder später vorbeiziehen und unser Big Mind (= blauer Himmel) wird wieder vorherrschen. Wie du dir bestimmt schon denken kannst, ist das Big Mind sehr wichtig für die Ausprägung eines Anfängergeistes.
Im Gegensatz zum Big Mind steht das “Small Mind“. Das Small Mind lässt sich sehr stark durch die Umwelt, also auch durch unsere Gedanken, beeinflussen. Dadurch verliert es seine Offenheit und ist stark limitiert.
Ein Beginner’s Mind muss trainiert werden
Ein Beginner’s Mindset muss regelmäßig trainiert werden. Dabei unterscheidet sich dieses Training gar nicht so sehr vom Training beim Sport oder dem Lernen in der Schule. Je schwieriger es uns fällt, den Anfängergeist anzuwenden, desto höher ist unser potenzieller Trainingseffekt.
Genauso wie beim Sport fällt es Menschen, die sich von Natur aus ausschließlich auf ihr Talent verlassen, langfristig schwieriger, erfolgreich zu sein. So verhält es sich auch mit dem Entwickeln und Ausbilden eines Beginner’s Mind.
Sobald wir denken, dass wir ohnehin schon offen und unvoreingenommen sind, sind wir es meistens nicht. Die Menschen, die zugeben, dass sie nicht perfekt sind und noch viel zu lernen haben, sich aber dafür nicht verurteilen, haben ein enormes Potenzial sich weiterzuentwickeln und zu lernen. Man sollte also ironischerweise die Ausbildung eines Beginner’s Mind auch mit einem gewissen Anfängergeist angehen.
Beginner’s Mind im Alltag
Die wohl beste Möglichkeit zum regelmäßigen Trainieren eines Anfängergeistes ist die Integration in das alltägliche Leben. Schon beim Aufstehen können wir dieses Training beginnen. Wenn wir die Dinge nicht nur beim Lernen, sondern auch in allen anderen Situationen so betrachten, als würden wir sie zum ersten Mal sehen, können wir uns immer wieder daran erfreuen und so dem Gewohnheitseffekt entgegenwirken. Sei es das Vogelgezwitscher am Morgen oder der Sonnenuntergang am Abend, wenn wir diese Dinge betrachten, als würden wir sie zum ersten Mal sehen, genießen wir sie auch deutlich mehr.
Eine offene Einstellung erlaubt es uns außerdem, jeden Menschen als Lehrer zu sehen. Viele Menschen glauben oft nicht daran oder vergessen, dass sie sogar auch von Kindern noch einiges lernen können, wie zum Beispiel das Leben mit einer gewissen Unbeschwertheit oder die Freude an den kleinen Dingen.
Mit der Integration in den Alltag und der regelmäßigen Wiederholung festigt sich das Beginner’s Mind mit der Zeit, sodass es langfristig in Fleisch und Blut übergehen kann.
Beginner’s Mind und Ganzheitlichkeit
Für Fortschritte in allen Lebensbereichen durch eine ganzheitliche Betrachtung des Lebens ist es von Vorteil, eine offene Einstellung zu besitzen. Sei es im Beruf, in einer Beziehung oder finanziell, wenn man sich in einem Bereich schon als Experte sieht, ist es schwierig, weiterhin dazuzulernen.
Ganzheitlich muss dabei nicht bedeuten, dass man sich auf jeden Bereich des Lebens konzentrieren muss. Man sollte für sich selbst regelmäßig definieren, welche Lebensbereiche wichtig für einen selbst sind und sich dann auf diese Bereiche konzentrieren.
Für eine ganzheitliche Anwendung eines Anfängergeistes hilft es, sich klare Ziele für jeden Bereich des Lebens zu setzen, dann aber den Fokus auf den Weg der Zielerreichung legen und Freude am Lernprozess zu finden. Hierbei ist es auch nicht wichtig, an welchem Punkt man sich gerade befindet. Das Ziel ist lediglich die kontinuierliche Verbesserung durch eine sinnvolle Anwendung eines offenen Geistes.
Beginner’s Mind entwickeln
Wie bei der Entwicklung der meisten neuen Angewohnheiten hilft schon das Wissen über das Beginner’s Mindset bei einer regelmäßigeren Umsetzung. Dennoch dürfen wir aber nicht erwarten, dass das für eine langfristige Umsetzung ausreicht.
Trainingseffekt
Wir sollten das Kultivieren einer offenen Geisteshaltung als eine Art Training sehen und mit einem Growth Mindset angehen. Hierbei hilft, wie bereits gesagt, die Integration in alle Tätigkeiten des Alltags, sodass wir die Anwendung regelmäßig wiederholen können.
Um eine Unvoreingenommenheit auszubilden, können wir die Dinge, die wir schon getan und erreicht haben, zumindest zeitweise, möglichst neutral betrachten und uns voll auf den aktuellen Moment konzentrieren.
Glaubenssätze regelmäßig hinterfragen
Zusätzlich können wir regelmäßig die eigenen Glaubenssätze hinterfragen und uns bewusst über den Dunning-Kruger-Effekt sein. Dann fällt es einfacher, mit einem offenen Geist zuzuhören und jeden Menschen als Lehrer zu sehen.
Während des Zuhörens sollten wir alle vorgefertigten Ideen und subjektiven Meinungen loslassen. So können wir das Gesagte neutral betrachten und nicht “gut” oder “schlecht” zuweisen. Das hilft uns dabei, jeden Standpunkt nicht nur oberflächlich, sondern auch tiefgreifender zu verstehen, egal ob wir ihn vertreten oder nicht. Danach kann man sich losgelöster über das Gesagte Gedanken machen.
Angemessene Erwartungshaltung
Um die offene Geisteshaltung regelmäßig umzusetzen, müssen wir uns eine angemessene Erwartungshaltung bewahren. Man sollte seine Erwartungen in Bezug auf die Fortschritte nicht zu hochschrauben, da man ansonsten oft enttäuscht wird.
Außerdem ist es wichtig, uns nicht zu sehr zu bestrafen, wenn wir uns bei einem “Experten”-Mind erwischen. Ganz im Gegenteil, dadurch, dass wir dies bemerkt haben, können wir es als Warnsignal sehen und aktiv wieder auf den für uns passenden Pfad begeben.
Grundeinstellung regelmäßig hinterfragen
Mit dem Verlauf unseres Lebens ändern sich unsere Einstellungen und Werte regelmäßig und wir entwickeln uns weiter. So können sich auch unser Blickwinkel auf bestimmte Dinge ändern. Deshalb ist es insbesondere bei der Anwendung einer unvoreingenommenen Geisteshaltung wichtig, einen regelmäßigen “Realitäts-Check” zu machen, um uns so bewusst weitere Ziele zu setzen.
Meditieren
Nun stellt sich zum Schluss noch die Frage, ob man die Sitzmeditation Zazen zwingend ausführen muss. Aus meiner Sicht ist Meditation ein wertvolles Werkzeug, um seinen Geist bewusst und regelmäßig zu reinigen. Wenn man jedoch andere Methoden findet, die diesen Effekt erzielen und besser integrierbar in den Alltag sind, sind diese Methoden natürlich vorzuziehen.
Da alle genannten Tipps sehr praxisorientiert sind, ist es aber wichtig, weniger darüber zu reden und den Fokus auf die Umsetzung und Übung zu legen. So steht der langfristigen Ausbildung eines Beginner’s Mind nichts mehr im Wege.
Quellen
Bücher
Suzuki, S. (2020). Zen Mind, Beginner’s Mind: 50th Anniversary Edition.
Shambala Verlag
Artikel
Wikipedia: Shoshin.
https://en.wikipedia.org/wiki/Shoshin