Das große Problem mit der Produktivität

Der weltweite Produktivitätstrend ist in vollem Gange. Heutzutage ist es uns möglich, in der Arbeit und in unserem Privatleben durch verschiedenste Tipps mehr herauszuholen. Auch die Entwicklung des Software und App-Marktes spiegelt diesen Trend wider. Nach einer Studie von Millioninsights wird der Markt von Produktivitäts-Apps von 2021 bis 2028 um ca. 8,1 % ansteigen.

Quelle: https://www.millioninsights.com/snapshots/productivity-apps-market-report

Immer mehr Menschen springen auf den „Produktivitäts-Zug“ auf. Auch ich habe mich mit vielen Tipps und Techniken aus noch mehr Artikel und Videos ausprobiert. Das Problem: Von den zahlreichen Tipps und Tricks konnte ich langfristig, wenn überhaupt nur wenige implementieren.

In der Wirtschaft besitzt die Produktivität eine klare Definition. Sie bezeichnet das „das Verhältnis von Produktionsmenge (Output) und Faktoreinsatzmenge (Input)“.1https://www.wirtschaftundschule.de/wirtschaftslexikon/p/produktivitaet/

Ironischerweise habe ich bei mir selbst rückblickend bemerkt, dass die Zeit, die ich mit lesen von Artikeln und anschauen von Videos (= Input) verbracht habe, größer war, als die Zeit, die ich mir tatsächlich eingespart habe (= Output).

Wiederum ironischerweise liegt das Problem oft nicht an den Ratschlägen an sich, sondern in der Weise, wie wir Produktivität zu erreichen suchen. Indem wir also unsere Einstellung verändern, können wir ein besseres und nachhaltigeres Verhältnis zu Produktivität gewinnen.

1. Oft fehlt das „Warum“

“Wenn jemand nicht weiß, zu welchem Hafen er segelt, ist kein Wind günstig.”

Seneca

Wie wir bereits gesehen haben, hat Produktivität in der Wirtschaft eine klare Definition. Betrachtet man aber die Persönlichkeitsverbesserungs- und Selbsthilfewelt, gestaltet sich das Bild deutlich verschwommener. So gut wie jede Optimierung einer Aktivität wird hier als Produktivität bezeichnet.

Um eine nachhaltige Verbesserung unseres Lebens durch Produktivität zu gewinnen, ist es wichtig, die Produktivitätstipps nicht um der Umsetzung willen zu implementieren. Doch wie lässt sich diese nachhaltige Verbesserung konkret umsetzen?

Viele Artikel und Videos gehen insbesondere auf das „Wie“ und „Was“ im Zusammenhang mit den Produktivitätshacks ein. Produktivität und deren Umsetzung lässt sich jedoch immer nur subjektiv in Bezug auf unsere Ziele bewerten. Beispielsweise wird Fernseher schauen grundsätzlich als unproduktiv gesehen. Ist unser Ziel aber, den Weltrekord für den längsten Serienmarathon zu knacken, verändert sich hier die Definition der Produktivität, da sie in Einklang mit unserem Ziel steht.

Um Produktivität für uns selbst subjektiv zu definieren und zu bewerten, ist also vor allem das „Warum“ die erste und wichtigste Frage, die wir uns stellen sollten. So können wir unseren Fokus zuerst auf den Kern (= Warum) setzten und dann auf die Aktivitäten (= Wie und Was).

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Der Goldene Kreis mit Fokus auf das „Warum“

Unser „Warum“ führt uns einerseits zu unseren zugrundeliegenden Werten und Zielen. Andererseits kann ein regelmäßiges Hinterfragen unserer Aktivitäten dazu führen, dass wir sie zielgerichteter bewerten können.

Auch in der stoischen Philosophie nimmt das „Warum“ durch die Definition von Werten und Zielen eine zentrale Rolle für unsere täglichen Handlungen ein. Ohne einen „Hafen“ (= Ziele und Werte) können wir durch verschiedenste Produktivitätsmaßnahmen zwar besser segeln, wir wissen aber nicht, ob wir in die richtige Richtung fahren und kommen vielleicht nie an unser Ziel.

Das „Warum“ wirkt also in beiden Fällen wie eine Art Filter, durch den wir relevante von irrelevanten Tipps unterscheiden und Produktivität für uns selbst definieren können.

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„Warum“ als Filter

Eine praktisch anwendbare Methode, um den Ist – und den Soll-Zustand unserer Ziele zu definieren, ist das Lebensrad. Schau gerne bei dem zugehörigen Artikel vorbei, um deine kostenlose Vorlage herunterzuladen.

Welchen praktischen Nutzen hat das „Warum“?

Indem wir uns regelmäßig unser „Warum“ vor Augen halten, können wir einzelne Produktivitätstipps besser bewerten und neue Tricks mit unseren Werten und Zielen abgleichen und so besser auswählen.

Szenario 1: Produktivität besser bewerten (Von „Was“ zu „Warum“)

Stell dir vor, du hast auf Facebook eine Auflistung von den neuesten und besten Tipps zur Erhöhung deiner Produktivität im Büroalltag durch eine Optimierung deines Email-Postfachs gesehen. Außerdem hast du bereits im Voraus für dich selbst deine Ziele und Werte im Leben definiert. Eines deiner wichtigsten Ziele ist es somit vielleicht, mehr Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen.

Schauen wir uns nun einen beispielhaften iterativen Bewertungsprozess an, indem wir durch das „Warum“ in jedem Schritt identifizieren können, ob der Tipp mit unseren Werten übereinstimmt.

Ein Bewertungsprozess kann beispielsweise so aussehen:

Tipps zu neuer Ordnerstruktur im Email-Postfach ➠ Warum? ➨ Weniger Zeit mit E-Mails verwenden ➨ Warum? ➨ Mehr Zeit mit wertschöpfenderen Aktivitäten im Büro ➨ Warum? ➨ Weniger Überstunden ➨ Warum? ➨ Mehr Zeit mit Freunden und Familie verbringen.

In diesem Fall sehen wir also, dass die neue Ordnerstruktur zu unseren zugrundeliegenden Werten und Zielen zusammenpasst. Voraussetzung ist dabei natürlich, dass wir alle Folgeaktivitäten des ursprünglichen Tipps auch auf unser Haupt-Ziel ausrichten.

Szenario 2: Bessere Produktivitätstipps auswählen (Von „Warum“ zu „Was“)

Durch die Definition eine „großen Warums“ kannst du sogar auch im Vorhinein bessere Tipps auswählen.

Nehmen wir hierfür wieder das Beispiel von oben. Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, mehr Zeit mit Freunden und Familie zu verbringen. Nun können wir von unseren Werten anfangend unsere wöchentlichen Aktivitäten herunterbrechen und schauen, wo wir die meiste Wertschöpfung generieren können:

Warum?: Mehr Zeit mit Freunden und Familie ➨ Wöchentliche Aktivitäten: Sport, Beruf, Schlaf, Essen, Fernsehen, … ➨ Produktivität gezielt auf Aktivitäten mit größter Einsparung (z. B. Weniger Netflix, schneller Kochen, …)

An diesem Beispiel sehen wir, dass die Ausrichtung unseres Lebens an einem „großen“ Warum die Auswahl und Priorisierung von Aktivitäten automatisch erleichtert.

2. „Slow and steady wins the race“

“Wohlbefinden wird durch kleine Schritte realisiert, ist aber wahrlich keine Kleinigkeit.”

Zenon von Kition

Mit der größeren Belientheit von Effizienz- und Produktivitäts-Hacks wollen sich auch immer mehr Menschen darüber informieren. Mit dieser steigenden Nachfrage steigt zeitgleich natürlich auch das Angebot.

Heutzutage finden sich Tipps zur Produktivität wie Sand am Meer. Internetartikel beschreiben nicht mehr den „besten“ Tipp, sondern gleich die „wichtigsten 30“ Tipps für mehr Produktivität. Während das Problem hier nicht an den Verfassern des Artikels an sich liegt, müssen wir als Anwender aufpassen, nicht zu viel auf einmal zu wollen.

Indem wir aber schon einmal unser „Warum“ definiert haben, können wir die für uns relevanten Tipps schon einmal herausfiltern. Nun können wir die wichtigsten Tricks Stück für Stück in unser Leben integrieren, bis sie in unser Unterbewusstsein übergegangen sind.

3. Von der Lernphase in die Umsetzungsphase

“Es geht nicht darum, über die notwendigen Eigenschaften eines guten Mannes zu sprechen – vielmehr ein solcher zu sein.”

Marcus Aurelius

Mit der großen Fülle an Tipps und Hacks zur Produktivität ist es ein leichtes, den Überblick zu verlieren. Auch das langandauernde Durchforsten von Produktivitätsforen und Anschauen von YouTube-Videos ist ein großer Zeitkiller.

Um diesen Zeitkiller zu eliminieren, müssen wir so schnell es geht von der Lern- in die Umsetzungsphase kommen. Indem wir die Disziplin aufbringen, uns wenige effektive Tipps auszusuchen und diese regelmäßig umzusetzen, lassen sich diese besser als Gewohnheiten in unser Leben integrieren. Sobald wir die wichtigsten Gewohnheiten ohne viel darüber nachzudenken umsetzen, können wir uns den nächsten Produktivitätstipps widmen.

Mit dieser Vorgehensweise bauen wir uns ein System auf, mit der wir die Tipps nachhaltig in unser Leben integrieren.

4. Kurzfristige Lösungen für langfristige Probleme

Ein produktiveres und effizienteres Leben zu führen, ist vor allem eins – harte Arbeit. Oft werden die Ratschläge aber so dargestellt, als ob sie extrem einfach umzusetzen wären. Vielleicht auch aus diesem Grund sehen viele Menschen Produktivitäts-Tipps wie eine Art Medikament, um die Symptome zu behandeln.

„Leidest du an Prokrastination?“ ➨ „Dann setzte diesen Tipp für eine bessere To-do-Liste um!“

Viele der bestehenden Probleme haben jedoch oft darunterliegende Ursachen, die zum einen durch ein „Warum“, zum anderen auch nur längerfristig, mit harter Arbeit und teilweise auch mit professioneller Hilfe gelöst werden können.

5. Geringer Fokus auf regenerative Aktivitäten

„Dem Geist muss man Ruhe gönnen – nach einer angenehmen Pause wird er gestärkt und schärfer hervortreten.“

Seneca

Wenn wir an diesem Punkt alles richtig gemacht haben, können wir nun die Produktivität-Ratschläge besser einordnen und anwenden. Je produktiver wir werden, desto besser können wir arbeiten und leisten auch mehr. Doch auch hier könnten wir schon in die nächste Falle laufen:

Die meisten Produktivitätstipps beschäftigen sich vor allem mit proaktiven Dingen. Damit sind die Aktivitäten gemeint, die grundsätzlich „Energiefressend“ sind. Durch Produktivitätsmaßnahmen können wir zwar die aufgebrachte Energie reduzieren, sie wird aber niemals null sein. Wenn wir mit steigender Effizienz dann immer auf der Suche sind, weitere produktive Aktivitäten umzusetzen, vernachlässigen wir oft unsere eigene Regeneration.

Im Gegensatz zu den proaktiven Tätigkeiten wird Produktivität in Bezug auf regenerative Aktivitäten deutlich seltener behandelt. Bessere Pausengestaltung, Achtsamkeit, Meditation etc. werden durch Studien2https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/jclp.20237?casa_token=xhLOY9v6V7UAAAAA%3A_ijgm5u37WJLcO2gEOemhTVo2W8tX1EV6UHUBN0cE7g-qMaIHQRkpBwZs08NdCgUy-wMwDg-lQ zwar immer bekannter, jedoch heutzutage immer noch selten direkt mit Produktivität verknüpft. Dabei ist es die Regeneration, die uns langfristig auf einem produktiven Level halten kann.

Wichtig bei allen Maßnahmen zur Effizienzerhöhung ist, dass wir auch loslassen können. Wenn wir ständig darüber nachdenken, führt das zu einem unglücklicheren Leben. Diese These wurde auch in wissenschaftlichen Studien bestätigt. Ständiges Nachdenken, egal über welches Thema, kann zu einer erhöhten Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben führen.

Aus diesem Grund ist es für uns wichtig, regelmäßig Abstand von der Produktivität und dem Effizienzdenken zu gewinnen.

Schlussendlich kann man sagen, dass Produktivität und die Tipps dazu grundsätzlich keine schlechte Sache sind. Jedoch ist insbesondere wichtig, wie wir Produktivität in unser Leben integrieren. Dabei kann uns für ein nachhaltiges Wohlbefinden helfen:

  1. Ein „Warum“ zu finden
  2. Kleine Schritte zu unternehmen
  3. Schnell in die Umsetzungsphase zu kommen
  4. Produktivitätsmaßnahmen langfristig zu betrachten
  5. Fokus auch auf regenerative Aktivitäten setzen

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